Li und Corona

Li Edelkoort ist eine verdient hochbezahlte Trendforscherin. Ich hatte einmal so um die Jahrtausendwende das Glück sie live zu erleben. Was sie damals prophezeite trat teilweise tatsächlich ein – jedoch wirklich um einige Jahre später. Vermutlich ist sie deshalb in der Autoindustrie so eine große Nummer. Die haben ja andere Vorlaufzeiten als die Mode.
Die von mir auch sehr geschätzte – auch aus der Jahrtausendwende stammende Online-Plattform für Architektur und Design generell hat Li zu Corona interviewt. Das Interview selbst könnt ihr hier nachlesen.

Was Li sagt ist jetzt nicht so wahnsinnig prophetenhaft. Mit etwas Hausverstand fast logisch. Aber wir werden es nicht hören wollen.
Also die Menschen, die wenigen, die sich tatsächlich und die vielen vielen mehr, die sich virtuell in meiner Blase befinden, die werden alle jubeln: „Cold turkey on shopping.“ sagt Li.
Und ich gebe ihr so recht.
Unser Leben ist dermaßen von Konsum geprägt, dass wenn uns die Möglichkeit dazu deutlich eingeschränkt werden, einige vermutlich in der Tat zitternd mit Schaum vorm Mund in der Ecke kauern. Online-Shopping kann die Symptome etwas abschwächen, aber wer ehrlich mit sich ist, wird feststellen, dass wir ja dazu übergegangen sind, z.B: selbst unser Frühstück zum Konsumdelikt zu machen: Mit der Plastikwelle auf den Stränden hat es sich schon etwas verbessert, aber vor ein paar Jahren noch – wer erinnert sich nicht? Keine Influencerin auf Instagram, die nicht ein Coffee-to-go Becherlein neben ihre vollen „völlig natürlichen“ Lippen gehalten hat.
Li sieht eine Art Arts&Craft-Bewegung mit starker Regionalität. Ja, wir sehen ja jetzt schon, dass die ganze Welt Brot backt, gartelt, Kleidung fertigt. Aber ist es die GANZE Welt? Wo ist der „tipping point“? Wieviele Menschen braucht es, dass es eine Massenbewegung wird? Die alle Menschen dazu bringt, gern € 50,- oder gar 70,- oder noch mehr für ein T-Shirt auszugeben. Dafür hat man dann nur noch 5 insgesamt. Aus einer Fabrik, die im Umkreis von 300 km liegt. Das das schön wäre, ist völlig klar.

Li spricht davon, dass wir uns darauf besinnen werden, was wirklich wichtig ist. Zu jeder Zeit das Haus verlassen zu dürfen, wäre für mich da schon ganz oben. Nicht immer um einkaufen zu gehen. Ich wohne ja in einer Gegend, wo ich vieles, was ich möchte eh nicht kriege. Was ich brauche ja. Li sieht uns in einem (!) Kleid, mit ausgesuchten Freunden und Lebensmitteln, möglicherweise selbst gezogen, beisammen sitzen.
Ja. Vermutlich werde ich, bevor ich verhungere, lernen Gemüse anzubauen und es nicht verkommen zu lassen. Ich werde einkochen, einfrieren und Gottweißwasalles noch nötig ist in dieser „Die Waltons“Idylle. Aber ich werde ganz, ganz, ganz sicher mehr als ein Kleid haben. Und wenn ich dafür den Stoff selbst weben muss. Was wiederum ja dann ganz nach Lis Sinn wäre.

Aber ich fürchte so wird es nicht sein. Zuviele von uns haben gar keine Lust auf irgendwas „Art&Craft“ – es sei denn, es kommt noch so eine ganz tolle Crafty-Welle für all das Klopapier, das diese Menschen eingebunkert haben. Das Gros der Menschheit sind Lemminge. Nicht selber denken, nichts hinterfragen, ihren – möglichst wenigen – Verpflichtungen nachgehen und dann vielleicht noch das eine oder andere Hobby. In Österreich gerne in Verbindung mit Alkohol. Davor, danach, während.
Das sind nicht Menschen, die jetzt sagen: ahhh genau, Corona hat mir gezeigt, wir leben viel zu sehr auf Kosten der Umwelt, der anderen, der Banken – ich schränke mich nun ein und kaufe keine Fertiggerichte mehr, sondern baue mal Gemüse an und koche ein. Diese Menschen haben ohnehin schon ständig das Gefühl, dass sie zu kurz kommen – Wieso soll ICH mich einschränken, soll doch wer anderer damit anfangen!
Vom Rest der Welt, wo ganze Länder gerade aufwachen und weil sie damit „Märkte“ werden, ganzen Heerscharen von Managern das Wasser im Munde zusammenläuft beim Gedanken, was man denen alles verkaufen könnte. Diese „denen“ werden auch ganz sicher nicht, quasi auf halbem Weg kehrt machen und meinen: Ach schau dir die Industrieländer an, die kippen ja hint über vor lauter Konsum, so wollen wir nicht werden. Nein, wir werden keine Handys kaufen, uns kein Mobilfunknetz aufschwatzen lassen und schon gar kein mobiles Bezahlen mit dem Handy. (eine der wichtigsten Errungenschaften im „Markt“werden von z.B: großen Teilen Afrikas.)

Und damit sehe ich post Corona natürlich, dass viele vieles erkannt haben werden. Aber eben nicht genug.
Oder es ist wie bei den anderen Sachen, die Li antizipiert hat – es kommt erst in zehn Jahren. Möge sie recht haben.