Was man von einem zu kurzen Ärmel lernen kann.

Letztens.
Als ich eine Gestütsbesitzerin war.
Oder eine Historikerin mit Schwerpunkt Renaissance-Miniaturen.
Oder was sich sonst in meinem Kopf abspielt, wenn ich an schwarzen Rollkragenpulli, Cordblazer und Seidenkopftuch denke.
Der Rollkragenpulli war einmal Artefakt meiner früheren Zunft, der ArchitektInnen. Den kann ich. Die Retro-Turnschuhe waren dann auch in der Zeit als ich Architektin war, ein verpflichtendes Kleidungsstück. Zumindest für die jüngere Generation.
Der Rest ist einfach lustig. Kleider machen Leute. Ein schönes Spiel.
Der DIESER MEIN Schnürlsamtblazer ist ein Chartstürmer. Von Nicht-Besitzen, ja sogar nicht einmal Haben-Wollen zu Nicht-Mehr-Ausziehen.
Das Folgemodell, der schöne aus dem irischen Tweed, lehrt mich wieder einmal alles, was meine Persönlichkeit an Unebenheiten hat.
TROTZ dass ich beim Cordblazer schon merkte, dass ich die Ärmellänge NOCH mehr verlängern muss, als ich es dort schon gemacht habe – und GEFÜHLT beim Zuschnitt der Tweedärmel EXTREM aufgepasst habe, sind… ja es fällt mir schwer, das zu schreiben…sind sie ZU KURZ.
WENN ich grobe Fehler mache, sind es IMMER die Ärmel. IMMER zu kurz.
Ich wurde getaggt um #spreadpositivity zu unterstützen.
Ich fühle mich so wahnsinnig geehrt, dass MICH jemand überhaupt taggt.
Aber etwas Zynismus und schwarzer Humor sind seit über 35 Jahren mein Schutzschild. In den frühen 80er Jahren mit Zahnklammer war – neben meiner Familie an sich – eine der härtesten Lebensschulen. Davon erholt man sich nie mehr wirklich.
Ich habe dann noch ein paar andere lustige Sachen ausprobiert um mich als Mensch möglichst NICHT anzunehmen. Und eins mit mir zu sein. Und dann habe ich gefühlt 25 Jahre ziemlich viel ausprobiert um möglichst genau das zu sein: Eins mit mir. In der Mitte meines Seins.
Dem Leben war und ist es aber ziemlich wurscht, was man so ausprobiert und wirft einem immer wieder Bröckchen und gern auch mal ordentliche Felsen vor die Füße. „Naaaaa, du wolltest doch mal in dir ruhen….?“
Nein. Ich ruhe auch mit fast 50 noch nicht so in mir, wie die halbe Welt es offenbar mir vermittelt, dass ich es tun sollte. Das hat vor gar nicht allzu langer Zeit dazu geführt, dass ich mir gedacht habe, „Sch… drauf!“ Anstatt mich ständig als Mogelpackung zu fühlen, die noch hier und da optimiert werden muss – und dann noch viel mehr als Loser, weil „Himmel, aber auch, wieso schaffst du es einfach nicht, mal jetzt zufrieden und glücklich in dir zu ruhen???“ Also statt meinen Fokus immer auf diese Aspekte zu legen, lege ich ihn auf Ärmellängen. Auf Rollenspiele vor der Kamera. Auf Macarons. Auf Frizzante. Ich sehe die Hände schon zusammenschlagen, die Hände jener, die so in sich ruhen: Bööööse. Alles Dinge, die so „im Außen“ sind. Konsum ist sogar dabei.
Ja, ich bin leider nicht so eine hochstehende Persönlichkeit, deren Ideal – wie bei der gestern von mir erwähnten Li – aus einem Kleid und selbstgezogenen Pastinaken besteht.
Ich mag mich heute wie ich bin. MIT dem ganzen Vernarbten, Schiefen, Unausgeglichenen. Und den scharfen Augen und der spitzen Zunge.
Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ich mag sogar, dass ich mit fast 50 noch immer zu dämlich bin, einen Ärmel meisterhaft zuzuschneiden. Das unterscheidet mich von anderen in meinem Alter.
Da ist vieles so „angekommen“. So perfekt. So „alles erreicht“. Das habe ich alles nicht. Ich muss sogar noch Zuschneiden lernen. Wer kann das in meinem Alter von sich sagen?

Dolores Wally Damensalon

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