Darf man noch Mode?
A dress should not only flatter a womans figure but also her intelligence.
Diesen Satz sagt die Hauptperson in Elizabeth Gilberts grandiosem Buch „City of Girls“. Sie ist eine Schneiderin mit fantastischer Geschichte in einem New Yorker Broadwaytheater der 40er Jahre. Viel später, als Besitzerin einer exklusiven Brautkleid-Maßschneiderei, legt Gilbert ihr diese Worte in den Mund.
Und hat damit sofort mein Herz erobert.
Was ist Mode?
Diese Frage ist für mich derzeit so omnipräsent.
Ich musste 47 werden, um zu erkennen, dass Mode für mich ein wichtiger Teil meines Lebens ist.
Gut möglich, dass viele Menschen, das schon viel früher erkannt haben. Aber ich habs ja nicht so mit dem Selbstbild 😉
Meine Schulzeit, die ich H&M-los in einer Modeschule verbracht habe, war davon geprägt, die Entwürfe großer Designer wie Jil Sander oder auch Valentino oder Armani in etwas zu übersetzen, dass ein Teenager tragen und den dafür nötigen Stoff sich leisten kann. Dann kam eben H&M und kein Mensch nähte mehr selbst, es wird einem alles – auch in teenager-finanz-gerechten – Häppchen serviert. Rund zehn Jahre später, wir schreiben inzwischen die Jahrtausendwende, kam das erste schale Gefühl auf. Zu oft tauchte auf einer ganz ganz tollen Party am anderen Ende des Raums genau das gleiche Outfit auf, von dem man selbst geglaubt hat, das absolute Schnäppchen ergattert zu haben. Vielleicht haben wir auch schon erkannt, dass die Qualität eben genau dem entspricht, was am Preiszettel steht.
Zumindest bei mir war das so.
Es hat dann aber die Geburt der Kinder gebraucht – und die neue DIY-Welle aus den englischsprachigen Ländern, bis ich so ca. 2006/8 voll ins Selbermachen hineingekippt bin.
2010 kam das kleinformat und damit die PDF-Schnitte und Burg-Nähwochenenden. DIY ohne Ende.
Und damit kam auch das neue generelle Hinterfragen unserer Kleidung. Es hat mit dem Essen begonnen, wo wir uns mehr und mehr fragten, was wir eigentlich essen, wie das produziert wird, woher es kommt, wie z.B. die Tiere, die oder deren Produkte, hier verarbeitet worden sind, gehalten worden sind.
Jetzt fragen wir uns das auch bei Kleidung.
Und die Antworten, die wir darauf bekommen sind genausowenig schön wie beim Essen.
Unser Konsum ist generell nicht umweltverträglich. Und die ersten Aha-Erlebnisse werden breitenwirksam: Was nicht umweltverträglich ist, ist auch nicht gut für den Menschen selbst.
Was tun wir aber nun mit der Mode?
Während Nahrung ja per se eine möglichst kurzlebige „shelf time“ im Geschäft haben sollte, ist das Selbstverständnis von Mode dem eines Frischfisches nicht unähnlich: Bitte lieber heute als morgen essen und übermorgen muss man eigentlich schon vom Genuss abraten. Mode will am liebsten 52 Saisonen pro Jahr haben. Niemals soll ein Teil zwei Mal getragen werden. Und während langsam tickende Menschen gerade mal dabei sind die Modefarben abzuspeichern, kann es echten „Victims“ passieren, dass sie ein Teil nicht mal in den Kasten legen, weil es sich zwischen Kauf und Anziehen selbst modisch ins Out befördert hat.
Gut, die allermeisten Menschen leben so nicht.
Aber so, wie es der britische Herrenmode-Guru Patrick Grant gerne hätte; leider auch nicht.
Grant, Selbernäh-Enthusiasten möglicherweise von „The Great British Sewing Bee“ bekannt, hat ein Maßatelier in der Londoner Herrenmaßschneiderei-Hochburg Savile Row gekauft und aufgepäppelt. Dazu dann noch ein ebenso in die Jahre und roten Zahlen gekommenes Unternehmen für sportive Herrenmode. Das angeblich schon Herrn Churchill in seinen Internatjahren ausgestattet hat,. Grant hat offenbar einen Riecher für Aktuelles und gut Verwertbares. Sein Hintergrund in der Kabel-Industrie, die sicher nicht besonders kreativ ist, hat ihn aber sicher viel Erfahrung im Materialeinkauf und generell Optimierung von Prozessen sammeln lassen. Und auch wenn ich davon überzeugt bin, dass bei großen Textilherstellern in Einkauf und Prozess nicht ein Fuzelchen zu optimieren übrig ist, so glaube ich sofort, dass bei alten kleinen Textilbetrieben, die in Europa so vor sich hinwurschteln noch eine ganze Menge Luft nach oben ist. Wenn da nun ein modern denkender aufgeschlossener Manager-Typ daherkommt, und aus einer verrückten Idee heraus sich dieser Branche annimmt, dann muss das eigentlich von Erfolg gekrönt sein.
Aber Patrick Grant ist es eben nicht genug sich selbst und UK zu beweisen, dass auch angestaubte Businesszweige erfolgreich ins 21. Jahrhundert transferiert werden können. Mit diesen gewonnenen Einblicken hat er erkannt, dass die Textilindustrie – wenn es um Bekleidung geht – saisonal ist, wie keine zweite. Winter- und Sommermode definieren den Zyklus und das bedeutet im Halbjahr drei Monate Überstunden ohne Ende. Und dann drei Monate gähnende Leere im Auftragsbuch. Ein Grund für smart Patrick sich selbst herauszufordern: Wie kann die britische Textilindustrie das ganze Jahr beschäftigt werden – und ist es möglich, ein in UK produziertes T-Shirt für unter 20 Pfund Endverbraucherpreis auf den Markt zu bringen?
Beweis gelungen.
Community Clothing ist ein Unternehmen mit praktisch zeit- und trendloser Kleidung, die das ganze Jahr über aktuell ist. Und die leicht in diesen „Low“Phasen in lokalen Betrieben in UK produziert werden kann.
Es hapert also offenbar nicht an den Möglichkeiten. Aber Grant kommt aus der Herrenmode. Auch wenn Instagramer Scott Schuman auf seinem Account „thesartorialist“ uns zeigt, dass auch Männer durchaus sehr modebewusst sein können, auch wenn seit David Beckham Teile der männlichen Weltbevölkerung sich zu Hipstern entwickelt haben, generell sind sie es nicht. Ein gutes T-Shirt, ein Lieblingspulli und eine Lieblingsjean, damit kann ein durchschnittlicher Mann schon lange auskommen. Das ist auch der Ansatz von Patrick Grant. Es gibt praktisch kein Interview in dem er nicht von seinem dunkelblauen Rundhalspullover aus Lammwolle erzählt, den er sicher schon zig tausend Mal getragen hat, weil er ihn schon über 15 Jahre besitzt.
(Wie dieser Mann das schafft ist mir ein Rätsel. Ich hätte durchaus Stücke, die mir solange gefielen. Aber entweder Motten oder Waschmaschine haben ihre Verweildauer auf einen Bruchteil der Grant´schen Kleidungslebenszyklen reduziert.)
Mit diesem Ansatz geht er auch seine „Mode“ an. Nichts trägt ein Jahresdatum. Was heute gekauft wird, kann durchaus auch in zehn Jahren noch getragen werden. Weil es so lange hält. Und weil es Teile sind, die eben aus jeder Faser „Basic“ schreien.
Aber das ist eben nicht Mode.
Mode ist crazy. Funny. Will gar nicht in zehn Jahren noch tragbar sein. Die Industrie hat sich in den letzten 20 Jahren darauf spezialisiert, genau das zu liefern. Und zwar zu Preisen, die im Bereich des Fast Food liegen. Fast Fashion. Und jetzt stehen wir da und merken, dass die Erde rund ist und was wir an Müll in den Osten schicken, die Runde macht und wieder zurückkommt. Wir müssen auf Diät. So wie bei der Nahrungsmittelindustrie. Die jüngere Generation unterzieht sich einer globalen Askese: Sowieso kein Fleisch. Gerne aber auch gar keine tierischen Produkte und/oder Gluten. Roggen verwenden sie lieber zum Haarewaschen, weil ja auch die Kosmetikindustrie so ein dirty business ist, das man nicht durchschaut und die Versuchung hoch ist, mal lieber gar nichts Vorgefertigtes mehr zu kaufen.
Was tun? Ich bin einem guten Basic-Teil, das ich in zehn Jahren noch anstandslos tragen kann, durchaus zugetan. Aber ich liebe auch Mode. Und ich bin bestimmt kein Victim (mehr). Ich habe vieles in meinem Kleiderkasten, das ein paar Jahre alt ist. Aber ich liebe auch mit Neuem zu spielen. Ich kann gewisse Teile gewisser Designer anschmachten. Ich kann vor Linienführungen, Materialwahl und solchen Dingen darniederliegen. Und ich will sie dann besitzen. Körperlich fühlen, was dieses Teil am Kleiderhaken oder im Regal verspricht. Das kann einmal eine Mütze sein. Öfter sind es Schuhe. Aber eben auch Kleider, Hosen, Mäntel. Alles.
Und all das soll jetzt verboten sein?
Ja.
Weil wir auf Diät sind.
Sein müssen.
Weil die adipösen Kleiderkästen auf die Weltgesundheit drücken. Und so wie Fast Food only nicht geht, darf auch Fast Fashion nicht mehr gehen. In einem Interview erzählt Patrick Grant von einem Textilunternehmen, das seinen Kunden zeigt, wie es Teile immer wieder neu kombinieren kann. Um sie daran zu hindern, ständig etwas Neues zu kaufen.
Andere Unternehmen verleasen ihre Kleidung.
Die Kleidungsindustrie kann sich leicht ändern. Das hat sie in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Wenn es Anlass genug gibt, bin ich mir sicher, dass findige Manager von H&M et al die ersten sind, die Produktionsstätten wieder in Europa aufbauen.
Aber sie werden nie auf ihre Margen und Boni verzichten. So wie die Aktienbesitzer nicht auf ihre Dividenden. Und dann sind wir wieder dort, dass dann eben das einzelne Teil um ein Vielfaches mehr kosten muss.
Dass wir Konsumenten bereit sind, das zu bezahlen. Dass wir Konsumenten nicht mehr 12 Kollektionen im Jahr einfordern. Dass wir – wenn finanziell nicht so gut gestellt – auch einmal wieder auf „etwas sparen“.
Lauter Aspekte, die nicht lustig sind.
Weil Verzicht und Diät nie lustig sind.
Schon gar nicht, wenn der Benefit davon möglicherweise von uns gar nicht mehr genossen werden kann.
Bei über 80 Millionen Tonnen Müll, der im Meer herumschwimmt, kann es durchaus sein, dass z.B: ICH mit jetzt 47 nicht mehr erlebe, dass Strände in Bali wieder sauber sind.
Und weil ich selber eine Selbermacherin bin, sogar Schnitte zum Selbernähen verkaufe: Nur weil man EINEN Teil der Produktion eines Kleidungsstücks zu sich nach Hause verlagert, ist man nicht automatisch fein raus. Die Stoffe, die wir kaufen können, haben genauso einen miesen ökologischen Fußabdruck wie der Rest der Bekleidungsindustrie!
Mein Abschluss dieses Nachdenkens ist ein Statement, das ich mir selbst hinter die Ohren schreiben möchte – soll:
Das beste Kleidungsstück, ist das, das du NICHT kaufst (oder nähst).
Not funny.
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