Neid

Eigentlich nehme ich mich als NICHT neidigen Menschen wahr. Ich kann Leuten sehr gut ihre Erfolge gönnen, freue mich für sie, wenn sie Dinge besitzen, die auch mir gefallen und wenn zwei Menschen sich finden, finde ich auch, dass das das Beste ist, was der Menschheit passieren kann.
Dann kam Social Media.
Bis dahin waren die Reichen reich, die Armen arm und der Rest dazwischen gönnte sich ab und an etwas, wo man genau gewusst hat, dass hier Glück oder Schweiß oder beides dahinter steht, Hashtag: schwer erarbeitet. Und vor allem, vom Rest der Welt, der einem nicht interessiert hat, wusste man auch nichts.
Jetzt bin ich nicht erst seit gestern auf Social Media unterwegs. Und beleibe bin ich keine Expertin auf diesem Gebiet.

10 Jahre Social Media und keine Expertin

Und da kommen wir genau zum ersten Thema. Warum bin ICH keine Expertin auf diesem Gebiet?
Ich habe 2010 ein Kindermagazin herausgebracht, das ich nach wie vor als eine der erstaunlichsten Leistungen meiner Karriere betrachte. Ein auf Papier gebrachte Art „best of blogs“. Ein Novum, wie es kein Zweites gab – und gibt.
Heute verdiene ich mein Brot im Marketingbereich, das ist nicht so weit entfernt, wo ich her komme. Auch meine architektonischen Erfahrungen waren sehr auf Shop-Design konzentriert. Für große Unternehmen bedeutet das – übersetzt für eine kleine Architektin – die 27. Filiale nach einem Basisdesign umsetzen, das jemand anderer entwickelt hat und dafür sorgen, dass der immer viel zu knappe Zeitplan und das immer viel zu kleine Budget nicht völlig gekippt werden. Enden wollend spannend. Aber eine Arbeit, wo man durchaus sagen kann – es gibt Schlimmeres.
Und für meine heutige Arbeit eine gute Basis: Termindruck, Budgettreue, alles gleichzeitig. Alles nichts Neues.
Aber in meiner jetzigen Arbeit treffe ich plötzlich auf Blogger, die als ich begonnen – und begonnen habe erfolgreich zu sein, eine kleine Nummer waren. Und ja, wenn ich sehe, welche Summen, bei den Kooperationen, die meine KollegInnen betreuuen, bei den Bloggern, die ja heute allesamt Influencer heißen, stehen… ich kann nicht anders: Ich bin neidig.
Weil ich nah dran war. Weil ich – hätte ich es nicht hingeworfen – heute vielleicht auch dort mitspielen könnte. Autsch. Das tut sogar beim Schreiben weh.
Sich das eingestehen zu müssen.
Und da kommt ja sogar dazu, dass der Tod meiner Mutter, der Auslöser für das Ende vom kleinformat, sicher keine Laune meinerseits war. Sozusagen vom Leben eine ´reingehauen.
Gut, bemüht Gutmensch zu sein, sage ich mir – hey, du bist gesund – denk mal an die Menschen, die z.B: eine schwere Krankheit wie Krebs bekommen! Die haben ganz sicher auch nicht darum gebeten. Die hätten z.B: auch eine ganz tolle Influencer-Karriere starten können. Sind aber in die Onkologie abgebogen. Und nie hat auch nur irgendwer etwas von ihnen gehört.
Aber der Gutmensch in mir ist halt auch nur ein Mensch. Ich kann nicht umhin. Ich neide manchen Menschen ihren Erfolg.
Jetzt ist es heraußen.

Der Stachel des eigenen Ungenügens sitzt tief

Ich neide ihnen die schönen Nähprojekte. Ich neide ihnen die tollen Unternehmen, die sie genauso „vom a scratch“ aufgebaut haben, wie ich mein kleinformat. Nur mit dem Unterschied, dass sie jetzt erfolgreiche Unternehmen haben, die sogar Leute anstellen. Und ich mich damit auseinandersetzen muss, es nicht geschafft zu haben. Wohl die eine oder andere Eigenschaft, die diese Menschen in sich tragen, und die beim Aufbau hilfreich war, nicht zu haben.
Nicht genügt zu haben.
Für den Durchbruch.
Nicht einmal für kleine Brötchen.
Dieser Stachel sitzt offenbar noch immer tief.

Bis ich das aufgelöst habe, braucht es wohl noch etwas mehr als einen öffentlichen Blogpost zu schreiben.
Ich darf mich damit auseinandersetzen, warum mir Erfolg so wichtig ist. Warum ich selbst – als Mensch – nicht genüge. Also MIR nicht genüge?

Bei näherer Betrachtung könnte das auch damit zusammen hängen, warum ich diesen Blog noch schreibe. Kann ich diese Tür nicht schließen, weil ich glaube, dass es hier doch noch etwas zu holen gibt? Für mich?

Kennt Ihr das? Wie das Phänomen, von einer Party nicht heimgehen zu können, weil sich doch immer wieder ein nettes Gespräch ergibt, weil grad jetzt die Musik gut wird, weil, weil, weil.

Aus journalistischer Sicht ist es eine Katastrophe einen Text zu öffnen,  ein Thema aufzumachen und keine Lösung anzubieten. Aber sosehr ich mich bemühe, alles, was ich hier schreibe und wieder lösche, fühlt sich nicht richtig an. Mehr als diese Bekenntnis kann ich derzeit nicht liefern. Außer:

Meine Top Ten Liste an Leuten, die ich beneide – und warum:

Gefühlt siebzehn verschiedene Indie-Schnittdesigner, die allesamt offenbar ein fröhliches erfolgreiches Leben genau mit dem führen, was auch eine meiner Kernkompetenzen ist. Nur dass ich offenbar irgendwas NICHT gemacht habe, das diese schon getan haben.
Nein, ich wünsche ihnen nichts an den Hals oder so. Ich frage mich nur wirklich „why me NOT?“

Allen voran the amazing Tilly and the buttons. Bunt lustig. Macht genau das, was ich auch machen wollte. Schnitte. Videoanleitungen. Bücher schreiben. Ich kann mich noch gut an ihre Anfänge erinnern, wo sie mal ein behind the scenes gezeigt hat: ihr WG-Zimmer und das Nähdesaster, das halt Nähen erzeugt. Very sympathisch. Heute muss ich neidlos kann ich ja nicht sagen – also voller Neid den Hut vor ihr ziehen.
Ich könnte auch Farbenmix erwähnen. Oder Hedinäht. Die hat überhaupt nach mir begonnen, dafür mit mehr Charme. Von Pattydoo will ich gar nicht sprechen. Heute ein Unternehmen mit 13 (!) Leuten. Aber bei all denen tut es weniger weh, weil ich mich stilistisch nicht sooo nahe fühle.
Merchant & Mills aber beispielsweise neide ich ungefähr alles. Grafik, Stil, Produkte. Meine Güte. Ich bin sprachlos. Und voller Neid.
Aber es ist nicht nur die Schnittbranche. Ich neide auch Frau Liebesbotschaft ungefähr alles: ihre Figur. Ihre tolle Wohnung. Ihre 57.000 Follower. Auch bei ihr kann ich mich noch an holprige Gehversuche als Bloggerin erinnern – halt mit relativ großzügigem Budget, wo sie uns darüber informiert hat, dass sie nun mit ihrer Familie in ein Loft ziehen will – und in der Folge uns über die Wahrwerdung dieses Traums informiert hat. Gut, wer da nicht neidisch geworden ist, der muss Mutter Theresa sein. Mittlerweile gibt es offenbar Mann samt Loft nicht mehr – ich habe NICHT diese gesamte Story von Loft suchen, Loft finden, Loft umbauen, Loft einrichten, Loft beziehen bis zu aus Loft ausziehen nachgelesen – ich habe auch meine Grenzen 😉 Die Bleibe, von der aus uns jetzt die Liebesbotschaften entsendet werden, würde aber auch jeder nehmen.
Auch Monk & Anna beneide ich um ihre wunderschöne Welt in Rost&Beigetönen – und um diese schönen Taschen, die ich – aus Neid – eben nicht kaufen kann. Gleich danach kommt Le Vestiare de Jeanne, die ich wirklich auf einer Messe, wo ich kleinformatbedingt war, als Mini-Standerl kennengelernt habe – und jetzt haben die eine soooo tolles Unternehmen mit drei Näherinnen irgendwo in Südfrankreich und machen – aus meiner neiderfüllten Sicht – einfach alles richtig. Gleichauf kommt Elizasuzann, die ebenso authentische Kleidung näht und als kleine Etsy-Sellerin im Wohnzimmer begonnen und nun ein suuuuper Unternehmen hat, mit an die 40 MitarbeiterInnen. Wo sie auf IG erklärt, warum ein Top 180 $ kostet und noch viel mehr Sachen macht, die mich einfach sprachlos… und ja, genau grün vor Neid werden lassen.
Wer darf die Liste, die natürlich noch viel weiter gehen könnte, abschließen?
Ja, wirklich wirklich schwer macht es mir Garance Doré. (Was soll ich sagen? Allein das Wortspiel Wearedore in ihrer Domain…schmacht!) Sie lernte ich als die sehr große französische Freundin von Satorialist kennen. In der Blogwelt damals eine fürchterlich große Nummer schon. Körperlich dafür eher kurz geraten, aber wie wir von der Grande Nation wissen, haben französische Frauen, da weniger Probleme damit. Irgendwann jedoch oha… nicht mehr die Freundin von … sondern jetzt selbst  ja, genau Influencerin… wunderschön. Zeichentalent. Was soll ich sagen? Neid.

Als Fazit kann ich wohl sagen, dass es mich besonders berührt, wenn etwas nahe meinen Talenten kommt. Die allumfassende Konzeption einer Atmosphäre. Wo vom Design des eigentlichen Produkts bis zum Label, zum Insta-Account, zur Webpage einfach alles, alles, alles zusammenpasst. Eine Welt, in die man eintauchen kann. So etwas wollte ich auch erschaffen.
Ist mir nicht gelungen. Ob es das je wird, weiß ich nicht. Mit 47 habe ich nicht mehr mein ganzes Leben vor mir. Ob die Erfüllung solcher (Mädchen)Träume sich auszahlt, anzupeilen, darf wohl in Frage gestellt werden.
Mit beschränkter Lebenszeit vor sich, könnte man sich auch damit auseinandersetzen, das Neidthema abzuschließen. Sich selbst zu genügen.

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