Rosarote Brille online.
Vor gut zwanzig Jahren, als wir alle so im totalen Start-up Modus waren, ohne dass das Start-up hieß, hatte eine Freundin die Idee von personalisierten Nachrichten. Sie wollte einen Nachrichtensender gründen, wo man nur die Nachrichten vorgelesen bekommt, die einen interessieren. Also nix Kultur und Fußball für Hardcore-Wirtschaftsleute. Nix Wirtschafts für echte Burgtheater-Afficionados. Und nix von alledem für Menschen, die erst bei den hinteren Seiten, also beim Sport sich einklinken.
Die Freundin blieb gut bezahlte Steuerberaterin. Vermutlich konnte sie zu gut rechnen um sich auszurechnen wie lange es dauert, dass hier ein Gewinn rausschaut. Ha, sie hat nicht mit Social Media gerechnet!
Heute ist jeder Chefredakteur seines eigenen Newsrooms. Eh spät genug haben auch die großen Magazine die Macht – und Reichweite der Social Media Kanäle erkannt und liefern nun zumindest ihre Headlines auch an facebook, Twitter und Co.
Und wir Konsumenten können uns nun endlich Monokanäle zusammenstellen: Nur Fussball, durchzogen von den Meldungen des privaten Freundeskreises, ab und an mischt sich eine bezahlte Nachricht von wasauchimmer dazwischen. Kein Weltgeschehen belästigt mehr, keine Kultur macht einen ärgerlich, und schon gar keine Politik lässt einen sauer aufstoßen. Alles schön gebürstet nach dem eigenen Strich.
Ich mache da keine Ausnahme. Kultur ist für mich sowieso immer und überall, wozu noch nachlesen wer wieder etwas veröffentlicht hat? Ich komme schon nicht nach das zu lesen, was als vielversprechend gekauft im Bücherregal auf mich wartet. Politik kann ich nur in homöopathischen Dosen, sonst muss ich sie gleich wieder total verweigern. Ab und an ein 30-minütiges Morgenjournal des österreichischen Wannabe BBCs: Ö1, dass tut es für mich. Wirtschaft detto. Sport? Bitte wir besitzen nicht einmal einen Ball. Wie wir letztens festgestellt haben.
Nein, ich bin das Paradebeispiel für Leben in der Blase. Ich, ganz visuelle Typin wie ich bin, liebe natürlich Instagram. Weide mich an den schönen Bildern. Wundere mich über den vielen Text, der in vielen Accounts nun immer öfter anzutreffen ist und frage mich, was mit den Blogs geschehen ist, ob der Accountbesitzer nicht besser daran täte einen Blogbeitrag zu schreiben. Ganz abgesehen davon, dass ich mich frage, WORAUF die solche Abhandlungen schreiben? Auf der Handytastatur ja wohl kaum? Oder doch?
Ich habe natürlich unzählige Indie-Schnittdesigner abonniert. Also solche Menschen wie ich, die auch gerne von ganz woanders her kommen – beruflich wie geographisch und nun Mode entwerfen und Schnitte dafür konstruieren, dass andere Menschen diese Mode nachnähen können. Ein schöner Beruf. Und die meisten – wie das so ist mit den schönen Berufen – können nicht davon leben. Nehme ich an. Also ich kann es nicht.
Und da sind wir beim springenden Punkt. In einem Leben ohne selbstkuratierte Nachrichten wüsste ich nur marginal viel von dieser speziellen Spezies. Ich würde mein kleines Unternehmen vor sich hin schmurgeln lassen und ab und an ein Schnittchen verkaufen. Mich freuen wie das Christkind und dann wieder weiter meinem Brotberuf nachgehen.
Jetzt produziere ich Bilder nur für Instagram. Denn es ist wichtig, dass mein Account schön aussieht. Es ist gar nicht so sehr wichtig, was ich eigentlich verkaufe, ob man meine Designs gut erkennen kann oder ob sie gut zu nähen sind. Oder verständlich erklärt. Nein, mit solchen Nebensächlichkeiten hält sich auf Insta niemand auf. Es braucht ein Farbschema und es muss alles ganz schön fotografiert sein. Und gut isses.
Erst als mir zum wiederholten Male aufgefallen ist, dass diese Designerin just genau jetzt einen Entwurf als Schnitt herausgebracht habe, den ich ganz genauso in meinem Skizzenbuch habe, habe ich begonnen, mich zu wundern. Nicht ob die wirklich Kontinente entfernt lebende Designerin vielleicht einen Blick in mein Skizzenbuch geworfen hat, sondern ob ich eben in einer Blase lebe. Dass ich durch diese extreme Monokultur vielleicht einfach schon paranoid geworden bin. Und dass ich dringend wohl ein paar Leuten entfolgen sollte.
Und dafür mehr Zeitung lesen. Mich in die Hände anderer begeben. Auch wenn ich noch immer nicht den Sportteil lese. Aber ich muss ihn überblättern. Genauso wie Wirtschaft und Politik. Auch mit größter Anstrengung der Vermeidung kann ich nicht vermeiden am Weltgeschehen teilzunehmen. Zumindest en passant. Jedoch durch die Brille von geschultem und dafür bezahlten Personal. Von Menschen, deren Beruf es ist andere Menschen über genau das zu informieren: Das Weltgeschehen.
Das kann mir gefallen. Oder nicht. Aber als erwachsener Mensch sollte man über ein gewisses Maß an Information verfügen. Und die kann nicht ausschließlich aus Social Media generiert werden.
So schön die rosarote Brille auch wäre. Wer mir jetzt nicht mehr folgt, weil ich nicht nur über Mode, Anziehen und Schnitte schreibe – bitteschön.
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