Mund auf…

und Hirn ein.
Es gibt hier irgendwo im näheren oder ferneren Dunstkreis eine Frau, die mich mal sehr gut kannte.
Ich bin hin und wieder über einen Kommentar von ihr gestolpert, sie hat mich also etwas weniger aus den Augen verloren als ich sie.
Ich habe gefühlt schon alle Kommentare durchgeackert, aber es ist ja auch egal, wie der Wortlaut Wort für Wort war.
Den Inhalt kenne ich sehr gut:
Sie hat mich wieder erkannt.

Also DEN Teil von mir, den sie damals gut kannte.

Der radikal messerscharf war und um im damaligen Slang zu bleiben: sich nix scheißt!

Aber schon damals war ich mir selber zu scharf.
War mir die Position derer, die nicht wegschauen und dann sogar noch was sagen, dann doch zu einsam.
Zu sehr wollte ich doch dazu gehören.
Zu denen die am großen Spielplatz spielen.
Und die coolen Sachen machen.
Und anhaben.

Und die Frau, die damals auch noch ein Mädchen war, die verstand nicht warum und war wohl auch verletzt.
Dass ich, die so heere Worte geschwungen habe, dann so niedere Gelüste hatte.

Ich weiß genau was sie meint.
Damals.
Und heute.

Sich selbst erkennen.
Sich selbst treu bleiben.

Oh welch schwierige Übung.
Wie viel einfacher ist der Weg des Schafes.
Wenig denken, viel Spaß.
Grünes Gras und schicke Wolle.

Wenn ich mir jetzt gerade in die Augen sehe, sehe ich die, die damals eigenhändig den jungen Burschen aus der U-Bahn geworfen hat, der ihrer Freundin unter den Rock gegriffen hat.
Die Leute in der U-Bahn schauten nur weg.
Wie sie immer wegschauen. Wenn sie hinschauen sollten.
Aber bei einem Mädchen, das sich wehrt, schaut man offenbar noch viel lieber weg.
Die Kräfte das zu tun, hatte ich.
Nicht weil ich irgendwas besonders kann.
Sonder weil in diesem Moment kein Zweifel war.
Nicht der geringste.
Sonder nur Wut.
Und ein Ziel.

Und ich sehe die, die damals auf einer Demo das geschrien hat, worum es wirklich ging, als Berufsberechtigungen gestrichen werden sollten: die Wirtschaft hatte Angst um die billigen Arbeitskräfte aus den Lehrberufen.
Ich hätte meine Stimmbänder schonen sollen.
Denn heute schert sich kein Schw… mehr um Lehrberufe. Thanks to Global World dürfen wir uns mit ganz anderen Sachen auseinandersetzen.

Aber heute habe ich das erste Mal den Ansatz eines politischen Gesprächs geführt.
Und sie ist noch da.
Die, die damals auch gern diskutiert hat.
Nicht geredet ohne was zu sagen.
Sondern eine Meinung vertreten hat.
Heute habe ich gesagt, dass ich es als MEINE PFLICHT ansehe, wählen zu gehen.
Nicht um meinetwegen.
Ich schlage mich durch.
Werde mich immer durchschlagen.
Ich habe eine brilliante Ausbildung und auch wenn es Unebenheiten in meinem Leben gab und wohl auch immer geben wird, verglichen mit anderen Frauenleben, kann man durchaus sagen, dass ich auf die Butterseite gefallen bin.
Aber wenn ich der Billa-Verkäuferin in die Augen schauen will.
Und nachdem, was ich letztens hier zum Besten gegeben habe, würde ich das sehr gerne.
Dann MUSS ICH dafür sorgen, dass sie WENIGSTENS ihren Mindest-KV-Lohn bekommt.
Und dass MINDEST eben doch mehr ist, als nur MINDEST…
Denn aus irgendeinem Kaff in irgendeiner gottverlassenen Gegend Österreichs um 4h morgens zusammen mit zig anderen im Bus nach Wien gekarrt, hier eine 10h-Schicht absolvieren und dann wieder zurück, kann und WILL ICH NICHT von ihr verlangen, dass sie auch noch einen auf Radikalfeministin macht.
Aber ICH, die vermutlich die bessere Schulbildung und die nicht mehr ganz kleinen Kinder in einer vernünftigen Betreuung hat, eine Mutter, die mir den Gefallen getan hat, ohne viel Pflegeaufwand gleich nach dem Schlaganfall zu sterben, die es sich leisten konnte, einem Herzensprojekt nachzugehen, also ICH finde, von MIR kann man/frau sehr wohl verlangen, dass ich mich engagiere.
Und wenn das Engagement schon nicht dafür reicht, eine Demo zu organisieren oder die Supermarktkette mit Boykottaufrufen zumindest an die Öffentlichkeit zu zerren oder sonstwas zu machen, was zumindest den Hauch einer gewissen Radikalität hat, dann sollte ICH ZUMINDEST WÄHLEN GEHEN!!!

Einziges Problem dabei:
Selbst bei angestrengstem Hirneinschalten kann ich beim besten Willen hier keine Wahlempfehlung abgeben.
Aber hingehen und irgendwas wählen, was sich tendenziell eher links als rechts bewegt, ist in diesem Land hier eh schon eine Meisterleistung. Definitv aber eine zumutbare…

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9 Kommentare
  1. Marianne
    Marianne sagte:

    Ja zum wählen…
    Ich finde jedoch die Beschreibung der billa Verkäuferin total versnobt, ein bobo Snobismus, der anderer Menschen Leben von oben herab schlecht macht auf eine ungute Art. Was ist die gute Ausbildung? Was ist dann mit den Künstlern, den handwerkenden?
    Schneiderin, die arme? Oder ist das dann schon wieder cool? Muss ich auch so über mich reden lassen? Ich seh's nicht ein, und ich seh nicht ein, dass ein nicht Wiener so belächelt wird, nur weil er pendelt. Es gibt übrigens viele weitere Jobs! in denen ähnlich viel Verdiehnt wird, wie in dem von dir beschriebenen…das mag Mist sein, aber vielleicht machen sie den Job einfach lieber, als einen anderen? Solls auch geben.

    Ich hab auch immer die Klappe aufgerissen und ja, ich tue es auch immer noch.

  2. Karin
    Karin sagte:

    wählen gehen muss man schon drum, weil man wählen gehen kann! Wie viele Menschen auf dieser Welt beneiden uns um unsre Wahl… Auch die Schweiz wählt im Mai; Regierungen und Mindestlohninitiative stehen auf den Zetteln, ich drück mir und uns allen die Daumen für ""richtige" Resultate!
    Berggruss
    Karin

  3. Anonym
    Anonym sagte:

    Yeah- den unterschreib ich….

    endlich mal jemand mit mumm…. ich kenn das, dieses lieber den mund halten, bzw NUR Worte schwingen lassen, keine meinung zu haben ist nämlich nicht nur einfacher sondern auch schick. So passt man überall dazu und kann sich beliebt und vor allem vor Freunden (???!!) nicht mehr retten.
    Ich bin froh das es mehr Menschen gibt die sich gerne auch mal anlegen- die Stirn bieten, ich habe das glück das ich zumindest ein paar menschen getroffen haben die auch so leben.

    Deshalb mein Aufruf: WIR MACHEN DA NICHT MIT!!!!!!!

    Danke für deine bestärkenden worte…

    alma

  4. creamum
    creamum sagte:

    Danke für die ehrlichen Worte!
    Danke für den Mut,das hier so auf den Punkt zu bringen!
    Ich bin ganz deiner Meinung!DANKE!
    Claudia

  5. Astrid (ach_gott)
    Astrid (ach_gott) sagte:

    Hallo Dolores,

    stimmt absolut!

    Man hat immer eine Wahl.
    Und wenn man nicht wählen geht (sei es auch aus Protest), dann entscheiden die, die wählen gehen und man muss mit dem Ergebnis leben, dass dann dabei raus kommt.

    Mein Fazit: Wenn ich schon die Wahl habe, dann auch machen!

    Viele Grüße
    Astrid (die aus Feigheit auch gerne weg schaut)

  6. Claudia Hopf
    Claudia Hopf sagte:

    Stimme voll und ganz zu. Finde mich zum großen Teil wieder (gleicher Jahrgang, gleiches Ausbildungslevel, mit zwei kleinen Kindern jetzt daheim. Alle Eltern/Schwiegerelter knapp hintereinander verstorben. Anderes Land). Das Leben geht nicht immer den gewünschten Gang. Ohne Absicherung schaut es gleich zappenduster aus! Das geht schneller als man wahrhaben will. Geht wählen!

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